Rund 15 Jahre ist es her, dass ich auf den Ambulanten Hospizdienst Schleswig aufmerksam wurde. Es dauerte dann noch weitere zehn Jahre, bis ich mich damit intensiver beschäftigte und der Wunsch entstand, mich ehrenamtlich in der Sterbebegleitung zu engagieren. Einem ersten spontanen Gespräch mit Anke Hass im Sommer 2022 folgte ein paar Monate später auf Grundlage eines Fragebogens für Interessierte an dem Befähigungskurs ein Kennenlernen mit Claudia Zabel. Danach war für mich ganz klar: Das ist es; das möchte ich machen. Im Herbst 2023 wurde es dann konkreter. In einem Gespräch mit Anke Hass ging es um Termine und den Ablauf des Kurses. Ich war glücklich, dabei zu sein, und startete im Februar 2024 zusammen mit elf Teilnehmerinnen und einem Teilnehmer den Befähigungskurs für Ehrenamtliche des Ambulanten Hospizdienstes Schleswig.
Jeder der sechs Termine des Grundkurses stand in Vorbereitung darauf, wie wir den Schwerstkranken und Sterbenden begegnen werden, unter einem Thema. Es ging um das Wahrnehmen, Mitgehen, Zuhören, Verstehen, Bleiben und Aufstehen. Ausgangspunkt waren häufig Texte, aber auch Bilder und manchmal Musik, die zum Nachdenken anregten und die Basis für den nachfolgenden Austausch in der Gruppe bildeten. Außerdem gab es Rollenspiele und Übungen. Mit am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben ist mir die Übung, für die jede/jeder von uns auf zehn Karten schreiben sollte, was sie/ihn ausmacht und was ihr/ihm im Leben wichtig. Dann galt es, sich nach und nach von einer Karte zu trennen. Bis auf die letzten drei Karten hatten wir es selber in der Hand, auf was jede/jeder von uns verzichten wollte. Das fiel schon sehr schwer, aber wir konnten die Prioritäten setzen. Dann aber schlug das Schicksal bzw. das Leben zu und uns wurden weitere Karten genommen, ohne das wir darauf Einfluss hatten. Die Unberechenbarkeit des Lebens und das von jetzt auf gleich das Leben ein völlig anderes sein kann, wurde uns damit intensiv vor Augen geführt. Die Schwerstkranken und Sterbenden, die wir in Zukunft begleiten werden, haben schon sehr viele Karten abgegeben, wie es eine der Teilnehmerinnen auf den Punkt brachte. Dieses Bild wird mir helfen, diesen Menschen mit Respekt zu begegnen.
Im Rahmen der Praktikumsphase bekam jede/jeder eine Person zugeteilt, die wir wöchentlich über einen Zeitraum von rund zehn Wochen besuchen sollten. Von Anfang März bis Mitte Mai besuchte ich Frau E. im Feierabendhaus in Schleswig. Vor dem ersten Kennenlernen war ich nervös und ängstlich ob der Ungewissheit, was da auf mich zukommen und vor allem was für einen Menschen ich antreffen würde. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt weder Erfahrung mit Pflegeheimen noch mit Demenz. Frau E. machte es mir leicht. Innerhalb kurzer Zeit entwickelten wir eine Routine und ich freute mich auf die Besuche. Dank ihr konnte ich viele Berührungsängste gehen lassen. Die Reflexionsabende in dieser Zeit bereiteten immer zwei Teilnehmerinnen/Teilnehmer vor. Der Vorstellung der jeweiligen Begleitung schlossen sich sachliche Rückfragen durch die anderen Teilnehmerinnen/Teilnehmer an. Es folgte ein Gespräch der Gruppe über die Begleitung, dem sich die Rückmeldung der/des Vortragenden anschloss. Ein Gespräch über neu gewonnene Erkenntnisse und ein Feedback zur gesamten Reflexion beendeten die Vorstellung. Die Praktikumsphase bereitete mich zum einen darauf vor, einem Menschen zu begegnen und mit ihm in Kontakt zu treten, über den ich wenig weiß und der nur noch schlecht oder vielleicht schon gar nicht mehr über die mir bekannten Möglichkeiten der Kommunikation verfügt. Zum anderen ging es darum, zu lernen, sich aus dieser Situation auch wieder zurückzuziehen. Denn nicht nur zu den Schwerstkranken und Sterbenden werde ich eine Beziehung aufbauen, sondern auch zu ihrem sozialen Umfeld, von dem ich mich nach dem Tod des begleiteten Menschen verabschieden muss. Wie mir Frau E. zeigte, ist das keine einfache Aufgabe.
Sich zu entschließen und gerufen zu werden, zu helfen, innezuhalten, Scham, Schuld und Schuldgefühle sowie zu wachsen und zu hoffen, das waren die Themen der fünf Termine des Vertiefungskurses. Einmal mehr ging es um Reflexion und die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst sowie mit den genannten Themen, die in unseren zukünftigen Begleitungen an uns herangetragen werden. Was rührt es in mir an? Was macht es mit mir? Und was mache ich damit? Wie gehe ich damit um? Immer vor dem Hintergrund, den Schwerstkranken und Sterbenden Erleichterung zu verschaffen, aber auch bei sich zu bleiben.
Das eine oder andere Mal habe ich diesen Kurs als anstrengend empfunden; manche Termine habe mich traurig, aufgebracht und sehr wütend nach Hause gehen lassen. Aber vor allem empfinde ich ihn als eine sehr, sehr große Bereicherung. Ich bin in einer Gruppe von Menschen angekommen, denen das Thema Sterben und Tod kein Unbehagen bereitet. Ich habe sehr viel gelernt, auch sehr viel über mich. Alles konnte seinen Platz haben – jede/jeder konnte sagen, was sie/er wollte, denn es fand einen Rahmen, in dem es sehr gut aufgehoben war. Ich habe Menschen kennengelernt, denen ich sonst nie begegnet wäre. Was für ein Geschenk! Und das erfüllt mich mit großer Freude und Dankbarkeit. Dementsprechend machte sich gegen Ende des Kurses Wehmut breit. Aber es wuchs auch das Gefühl, gut vorbereitet zu sein, auf das, was da kommt. Und nun bin ich gespannt, welchen Menschen ich als Erstes begleiten darf. Auch ich lasse mich überraschen. Wie Frau E., der dieses Motto, glaube ich, half und weiterhin hilft, ihr Leben zu meistern.
Dr. Uta Maria Meier